«Die Vorstellung, angemessene Kleidung beim Kunden nütze etwas, innerhalb des Teams aber nicht, ist schlicht das Gegenteil von Common Sense.»

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Kürzlich wurde ich in eine Diskussion über die Frage verwickelt, ob Dienstleistungs­unternehmen ihren Mitarbeitern via Dresscode vorschreiben sollen, welche Kleidung am Arbeitsplatz erwünscht ist. Die Debatte wurde mit überraschend harten Bandagen ausgetragen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin dafür, dass jedes Dienstleistungsunternehmen einen Dresscode besitzt, den alle Mitarbeiter kennen, idealerweise schon vor Stellenantritt. Dass ich explizit von Dienstleistungsunternehmen spreche, hat einen Grund: Kleiderordnungen für Verkaufspersonal im Detailhandel (etwa Coop oder Migros), in der Produktion oder im Gesundheitswesen sind ohnehin üblich (und nicht selten eine Folge von Praktikabilitäts- oder Sicherheitsfaktoren). Gleiches gilt natürlich auch für Uniformen von Polizei und Militär. Im Folgenden geht es deshalb um die Frage, ob auch Büroangestellte Kleiderordnungen unterliegen sollten oder nicht.

Im Grossen und Ganzen drehte sich die erwähnte Diskussion darum, wie konservativ die eine Haltung ist (meine) und wie progressiv die andere (die meiner Kontrahenten), fand also quasi auf der Bühne der individuellen Weltanschauung statt. Ins Weltanschauliche möchte ich aber nicht abgleiten: Hier sollen vielmehr die einzelnen Argumente gegen Dresscodes für Büroangestellte widerlegt werden.

Argument #1: Es braucht kein Reglement, die Durchsetzung von angemessener Kleidung ist eine Leadership-Aufgabe!

Führung bedeutet, Mitarbeiter am Kompass eines Unternehmens auszurichten. Wenn dieser Kompass nicht bekannt ist, Leadership also mit «Ich finde, du könntest»-Sätzen beginnt, dann ist Leadership die Durchsetzung von persönlichen Präferenzen des Leaders. Dies wiederum hat totalitäre Züge – und ist mit Sicherheit das Gegenteil von progressiv. Nichts ist unangenehmer, als auf die Einhaltung einer zuvor nicht bekannten Richtlinie hingewiesen zu werden, von einer Person, die sich auf nichts anderes berufen kann als ihre persönliche Beurteilung. Wie gesagt, das ist totalitär. Hinzu kommt, dass sich mit jedem neuen Leader, der das Outfit von Mitarbeitern ohne übergeordneten Kontext bewertet, die Grenzen des Zulässigen völlig verschieben können. Das heisst: Ohne Kleiderordnung muss eine Firma entweder buchstäblich jedes strafrechtlich nicht relevante Outfit akzeptieren – oder es schafft für seine Angestellten Unsicherheit und Ungewissheit.

Argument #2: Jeder weiss doch von sich aus, was er im Büro zu tragen hat!

Wenn das so wäre, dann war das entweder schon immer so. In diesem Fall stellt sich die Frage, warum alle Generationen der Menschheit minus die Letzte auf Kleiderordnungen an Arbeitsplätzen bestanden. Oder aber die Menschheit wurde – ich schätze mal, so um die Jahrtausendwende herum – plötzlich erleuchtet, weswegen es heute wirklich jeder weiss. Im Folgenden führe ich fünf Beispiele an, die für mich das Gegenteil beweisen. Ich bin überzeugt, dass sie bei jedem Leser ähnlich gelagerte Fälle in Erinnerung rufen – und somit meinen Standpunkt untermauern.

Beispiel 1
Eine Person trägt in einem Teams-Meeting einen knallgelben Pullover mit einem um den Hals gewickelten roten Wollschal; die Teilnehmergalerie wird durch diese Person visuell dominiert — das ist unanständig, weil die Person die Aufmerksamkeit auf sich zieht und sich damit ungerechtfertigt zum Primus inter pares erhebt.

Beispiel 2
Eine Person trägt an einem Businessmeeting einen ultradicken Wollpullover mit Rollkragen. Damit vermittelt sie zwangsläufig den Eindruck, sie wolle sich von den anderen Teilnehmern abschirmen — kein Signal, das sich jemand von einem Gesprächspartner wünschen kann.

Beispiel 3
Ein Herr trägt Skinny Jeans, die einem offenlegen, auf welcher Seite er sein Gemächt trägt. Man kann nun meinen, damit liefere er besonders den weiblichen Mitmenschen im Büro Informationen, nach denen sie lechzen. Man muss und sollte es aber nicht.

Beispiel 4
Eine Person trägt im Office standardmässig ausgelatschte, abgewetzte gelbe Onitsuka-Tiger-Sneaker — in meinem Business würde ich wollen, dass helle Kleidung den Blick ins Gesicht meiner Mitarbeiter führt, nicht an die Füsse. Und noch weniger würde ich wollen, dass schmuddeliges Schuhwerk mit meinen Dienstleistungsstandards in Verbindung gebracht oder gar als persönliches Statement verstanden wird.

Beispiel 5
In einem Grossraumbüro sitzen sich zwei Mitarbeiter gegenüber. Der eine trägt gern ein hellgrünes Poloshirt, das sein Vis-à-Vis somit den ganzen Tag neben seinem Monitor sieht. Ich glaube nicht, dass das der Arbeitsleistung des Zweiten zuträglich ist, vor allem, wenn dieser Zweite mit nicht ganz optimaler Sehkraft ausgestattet ist.

Argument #3: Ein Dresscode ist gegen den Individualismus, den wir in unserer Firma hochhalten!

Stimmt. Angenommen, jemand arbeitet acht Stunden pro Tag, hat acht Stunden Freizeit und schläft acht, dann bedeutet das, dass der Individualismus sechzehn Stunden pro Tag durch neongelbe Sportshirts, Sweatpants und Crocs ausgedrückt werden darf. Aber während acht Stunden stellt sich dieser Jemand in den Dienst eines Unternehmens. Und während dieser acht Stunden darf er verpflichtet werden, die Erfüllung seiner Dienstpflichten im Unternehmen in den Vordergrund zu stellen. Das Team eines Unternehmens, das an einem Meeting wie ein spassiger Quilt aussieht, vermittelt nach allen Seiten den Eindruck, Produktivität stehe nicht an erster Stelle. Bis sie widerlegt ist, lautet daher meine These: Ein Unternehmen, das darauf achtet, wie sich seine Mitarbeiter kleiden, wird erfolgreicher sein als ein sonst identischer Konkurrent, der das nicht tut. Warum also auf einen möglichen Vorteil verzichten?

Argument #4: Okay, für alle mit Kundenkontakt ist ein Kleiderreglement vertretbar!

In diesem Argument steckt die Anerkennung der Tatsache, dass eine bestimmte Garderobe ein Zeugnis von Respekt gegenüber seinem Vis-à-vis ist und diese Respektbekundung dem Ansehen der Firma und letztlich dem Verkauf zuträglich ist. Im Umkehrschluss heisst das, dass meine Teamkollegen und Vorgesetzten meinen Respekt nicht verdient haben und die Garderobe meiner Teammitglieder meine Arbeitsleistung nicht beeinflusst. Die Vorstellung, angemessene Kleidung beim Kunden nütze etwas, innerhalb des Teams aber nicht, ist schlicht das Gegenteil von Common Sense.

Argument #5: Kleidung sagt überhaupt nichts über die Fachkompetenz einer Person aus!

Richtig. Allerdings macht man sich mit unangebrachter Kleidung unnötig das Leben schwer. Warum soll ich es als Unternehmer meinem Team mühsamer machen, als ohnehin schon alles ist? Jede Studie zum Thema belegt, wie wichtig die ersten Sekundenbruchteile in der Bewertung meines Gegenübers sind, warum also in dieser kurzen Zeit noch unnötige Hürden aufbauen?

Argument #6: Du willst einfach, dass alle in Anzug und Krawatte rumlaufen!

Nein. Ein Unternehmen, das etwas auf sich hält und erfolgreich sein will, führt eine Marke. Die Marke repräsentiert einen bestimmten Charakter. Optimalerweise wird alles im Unternehmen aktiv so beeinflusst, dass dieser Charakter auch wirklich wahrnehmbar ist. Ein Dresscode ist kein One-size-fits-all-Instrument, sondern wird in Abstimmung zur Marke entwickelt. Er zielt auch nicht auf Uniformierung ab, sondern auf eine grösstmögliche stilistische Freiheit, die bestmöglich zur Marke passt, zeigt Dos auf, definiert aber auch klare Don’ts.

Argument #7: Ein Kleiderreglement lässt sich gar nicht durchsetzen!

Es lässt sich so sehr oder so wenig durchsetzen wie jedes andere Reglement auch. Jetzt, und wirklich erst jetzt, kommt Leadership zum Einsatz. Gestützt auf einen Dresscode kann korrigiert werden. Und ja, eine wiederholte Nichteinhaltung kann zu einer schlechten Bewertung oder gar zur Kündigung eines Mitarbeiters führen. Es sollten die gleichen Regeln gelten wie für Mitarbeiter, die trotz zig Verwarnungen bei jeder zweiten Präsentation das Logo des Unternehmens in einer falschen Proportion ins PowerPoint-Dokument kopieren, sich weigern, mit den zur Verfügung stehenden Templates zu arbeiten, oder ihre Spesenbelege nicht rechtzeitig in die Buchhaltung schicken.

Argument #8: In Zeiten von Workation und Homeoffice sind Kleiderregeln definitiv tempi passati!

Im Wort Workation steckt «work» und im Wort Homeoffice «office». Warum sollten Mitarbeiter im Exil oder zuhause plötzlich nicht mehr die Werte des Unternehmens, für das sie tätig sind, repräsentieren müssen? Es ist wohl genau das Gegenteil der Fall: In Zeiten von «work everywhere» und kurzfristig einberufenen Videocalls sind Kleiderreglemente wichtiger denn je. Auch wenn man den «Kämpfer» nur bei «Feindkontakt» aus dem Schrank holen will: Heute kommt Letzterer oft ohne Vorwarnung. Das spricht meiner Meinung nach auch gegen smarte Dresscodes, die sich nach dem gegebenen Anlass richten — die Anlässe sind kaum mehr vorhersehbar, und so entsteht unnötiger Koordinationsaufwand.

Argument #9: Und was machst du, wenn im Kleiderreglement steht, du müssest als Frosch verkleidet zur Arbeit erscheinen?!?

Erstens steht es einem Unternehmen ebenso frei, eine solche Regel zu erlassen, wie den Mitarbeitern, diese Stelle sofort zu kündigen. Zweitens gibt es nichts auf Erden, was nicht missbraucht werden könnte. Dass auch gute Sachen missbraucht werden können, heisst nicht, dass man nicht auf ihnen bestehen sollte.

Konklusion

Unternehmen, die Markenführung als Wert verstehen, kommen nicht umhin, bewusst Dresscodes einzuführen und durchzusetzen. Um es deutlich zu sagen: Dresscodes existieren sowieso. Sie existieren in den Köpfen der Mitarbeiter, die sich im Floor talk über die unangebrachte Kleidung eines Kollegen lustig machen, und sie existieren in den Köpfen von Teamleitern und Executives. Entweder werden sie nach Prinzipien durchgesetzt, das heisst, nachvollziehbar und fair. Oder aber sie sind auf den ersten Blick liberal und auf den zweiten totalitär. Dresscodes widmen sich dem Aushängeschild eines Unternehmens, dem Mitarbeiter – und damit der Marke des Unternehmens und seinem Charakter. Es gibt keinen Grund, ausgerechnet hier keine Vorschriften zu erlassen — wo doch selbst die Beschriftung des Firmenfahrzeugs bis ins letzte Detail reglementiert ist. Das einzige Argument, das dagegenspricht, ist eine meines Erachtens pseudo-humanistische, sicher aber oberflächliche Sichtweise, gemäss derer Garderobevorschriften einen nicht tolerierbaren Übergriff auf die Individualität einer Person darstellen. Nur: Denkt man diese Sichtweise durch, dann müssen Angestelltenverhältnisse per se «übergriffig» sein, denn sie bedeuten für die Angestellten ja unter anderem den Verlust der freien Zeiteinteilung. Vom Reinigungspersonal bis zum CEO: Der Zweck von Arbeit ist, das Unternehmen erfolgreicher zu machen und dafür gerecht entlöhnt zu werden. Unter all den Vorschriften, die Mitarbeiter in ihrem Job einzuhalten haben, dürfte ein Dresscode zu den minimalinvasiven zählen. Aus der Sicht des Unternehmens hingegen sind Kleiderordnungen Reglemente, die ebenso viel Innen- wie Aussenwirkung bringen.

 

Beispiel für einen Dresscode

Als Beispiel sei hier ein universeller Dresscode aufgeführt. Die meisten Regeln sind auf moderne Dienstleistungsunternehmen anwendbar, die generische Werte wie hohe Dienstleistungsqualität, Seriosität, Verlässlichkeit, Kundenorientierung, Effizienz und Langfristorientierung vertreten. Er kann als Basis für individualisierte Versionen dienen, die den spezifischen Bedürfnissen unterschiedlicher Unternehmen gerecht werden. Idealerweise werden Dresscodes gemeinsam in einem Team entwickelt und bereits im Bewerbungsprozess transparent gemacht.

AnwendungsbereichRegelGrund
GenerellEine gut gewählte Business-Garderobe führt den Blick des Gegenübers ins Gesicht. Sie lenkt nicht von der Person selbst ab, stellt sie auch nicht in den Mittelpunkt und verbreitet keine Statements. Kurzum: Sie ist zurückhaltend.Mit dem Gesicht verleihen wir unseren Worten Nachdruck und als Person vertreten wir unsere Lösungen.
GenerellUnsere Garderobe ist stets gepflegt, das heisst sauber und ohne Flecken, ohne Falten und ohne zerschlissene Partien.Wir unterstreichen unsere exzellente Dienstleistung glaubwürdig.
GenerellWir vermeiden extravagante Outfits, deren einziges Ziel ist, die Aufmerksamkeit auf den Träger zu lenken.Wir funktionieren als interdisziplinäres Team; unsere Lösungen stehen im Mittelpunkt, nicht einzelne Personen.
GenerellWir achten darauf, dass möglichst wenig Haut sichtbar ist und dass Unterwäsche ihrem Namen gerecht wird.Weil das Gesicht alle Aufmerksamkeit haben soll und wir keine deplatzierte Intimität signalisieren wollen.
OutfitAn Meetings ist unsere Garderobe immer dreiteilig (1. Jackett/Blazer, 2. Bluse/Hemd/Shirt, 3. Rock/Hose).Wir signalisieren eine flache Hierarchie, Gemeinsamkeit und Geschlossenheit.
OberbekleidungBluse, Hemd oder Shirt sind zurückhaltend unifarben und höchstens fein gemustert. Muster sind ohne Abbildungen (Tiere, Blumen, Comicfiguren u. Ä). Aufgedruckte Schriftzüge sind ebenso tabu wie Glitzerndes.Wir wollen keine Botschaften senden, die von unserem Business ablenken oder infantil wirken, und wir wollen keine flimmernden Moirés am Bildschirm bei Videocalls.
OberbekleidungWir tragen gewobene Textilien, allenfalls fein gestrickte.Wir wollen mit grobem Strickmaterial nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns nach Wohligkeit sehnen oder uns schützen möchten.
OberbekleidungWir tragen Röcke oder Hosen sowie Jacketts in zurückhaltenden Farben (Dunkelblau, Schwarz, Grau, Erdtöne).Wir wollen nicht, dass einzelne Personen farblich herausstechen und damit die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Hosen, RöckeFür Herren sind kurze Hosen ebenso tabu wie für Damen Röcke, die höher als knapp oberhalb des Knies enden.Für Herren sind kurze Hosen ebenso tabu wie für Damen Röcke, die höher als knapp oberhalb des Knies enden.
Schals, Foulards, KrawattenWir verzichten auf Wollschals und grosse, auffällige Foulards sowie auf Krawatten.Wir wollen uns nicht vor unserem Gegenüber verstecken, sondern offen und zugänglich wirken. Um als Team wahrgenommen zu werden, verzichten wir auf das Tragen von Krawatten.
SchmuckWir verzichten auf extravaganten Schmuck.Die Aufmerksamkeit des Gegenübers soll nicht vom Gesicht oder der Person abgelenkt werden.
SchuheWir verzichten auf extravaganten Schmuck.Die Aufmerksamkeit des Gegenübers soll nicht vom Gesicht oder der Person abgelenkt werden.
SchuheWir tragen geschlossene Lederschuhe/Sneaker mit Socken/Strümpfen. Sport- oder Wohlfühlschuhe sind tabu. Die Schuhe sind immer sauber und dunkler als das unterste Kleidungsstück.Gute Schuhe verleihen einen guten Auftritt; offene Schuhe werden mit Freizeit und Müssiggang assoziiert.
SchuheWir tragen geschlossene Lederschuhe/Sneaker mit Socken/Strümpfen. Sport- oder Wohlfühlschuhe sind tabu. Die Schuhe sind immer sauber und dunkler als das unterste Kleidungsstück.Gute Schuhe verleihen einen guten Auftritt; offene Schuhe werden mit Freizeit und Müssiggang assoziiert.
HandtaschenUnsere Handtaschen sind geschäftsmässig und entsprechen somit unserem Kleidungsstil. Sportbeutel, Sportrucksäcke, auffällige Messenger-Bags und übergrosse Handtaschen sind tabu.Eine unpassende Tasche unterminiert alle vorangehenden Regeln.
Make-upDamen tragen dezentes und dem Arbeitsleben angepasstes Make-up.Als Unternehmen ist uns im Auftritt Gemeinsamkeit wichtiger als Individualität.
Kopf- und GesichtsbehaarungMänner sind rasiert oder tragen einen gepflegten Bart oder Schnauz. Generell achten wir auf einen gepflegten Haarschnitt bzw. auf eine gepflegte Frisur.Das Gesicht ist, worauf wir uns in der Kommunikation fokussieren.

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