«When the shit hits the fan, wie man so schön sagt, kann es für Unternehmen sehr ungemütlich werden auf Social Media — wenn auch Schweizer Betreiber mutmasslich etwas weniger exponiert sind, wie etwa Unternehmen im grossen Kanton.»

Soll sich mein Unternehmen auf Social Media engagieren? Eine Entscheidungshilfe.

Ich habe zu Social Media Engagement von kleineren und mittelgrossen Unternehmen eine dezidierte Meinung, die ich zu äussern ab und an gebeten werde. Deshalb teile ich in diesem Beitrag mit Ihnen als Entscheidungsträger nachfolgend einige grundsätzliche Überlegungen zu diesem Belang, die Sie vielleicht in Ihrer Entscheidungsfindung weiterbringen oder offene Fragen beantworten.

Ich stütze die Ausführungen im allgemeinen auf meine Erfahrungen als Inhaber dieser Agentur, die kleinere und mittelgrosse Unternehmen seit über 20 Jahren in Kommunikationsfragen betreut. Im speziellen stütze ich mich auf meine Erfahrung als Head of Communication und in dieser Funktion auch als Leiter des Social Media Teams eines eidgenössischen Referendums mit anschliessendem Abstimmungskampf im Jahr 2019 (EU-Waffenrecht) — eine Erfahrung, die ich gerne als das Stahlbad auf Social Media bezeichne. Vorab zu sagen ist, dass wir eine «Agence polyvalente» sind, also keine reine Social-Media-Agentur, die vielleicht da und dort eine andere Sicht hätte. Unser Blickwinkel ist eher ein generalistischer und ich möchte auch unterstreichen, dass ich so etwas wie ein Fan von Social Media und seinen Möglichkeiten bin — aber ich begegne der Sache nicht blind und unkritisch.

Wenn ich in den unten stehenden Listicles allgemein von «Social Media» schreibe, meine ich damit Kanäle, die funktionieren wie Facebook, LinkedIn, Twitter und Instagram. TikTok oder andere erwähne ich bei Bedarf explizit, da sie ein etwas anderes Funktionsprinzip aufweisen. Ich empfehle, die Dokumentation «Das Dilemma mit den sozialen Medien» von Jeff Orlowski auf Netflix anzuschauen. Nicht, weil ich deren Fazit restlos teile, aber sie zeigt die Zusammenhänge innerhalb dieses Kommunikationskanals sehr gut auf.


Social Media ist kein reines Sendeprogramm, sondern eine Kommunikationseinrichtung. Social Media Engagement verlangt von Unternehmen deshalb hohe Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit.


Mit einem guten Social Media Engagement und bereits ab einer kleineren Community lassen sich dank viralen Effekten mit Beiträgen (Posts) oder Werbung (Ads) wirklich, also nachweislich, unerhört viele Menschen erreichen.


Es gibt keine Rezepte, was auf Social Media warum funktioniert oder eben nicht. Jedes Unternehmen muss seine eigene Strategie entwerfen und seine eigenen Erfahrungen machen und daraus lernen. Nichts ist aus Kommunikationssicht langfristiger anzugehen als die Kurzfristigkeit auf den Sozialen Medien.


Social Media Engagement ist meiner Meinung nach die wohl mit Abstand beste Möglichkeit, das Profil der eigenen Marke in der Öffentlichkeit aufzubauen und kontinuierlich zu schärfen — das gilt für Privatpersonen ebenso wie für juristische Personen.


Social-Media-Präsenzen gehören heute eigentlich zum Standard im Kommunikationsmix, ähnlich wie ab dem Jahr 2000 die Unternehmens-URL und die Unternehmens-Website — man muss(te) es einfach haben. Nur Exoten kommen heute ohne Schaufenster aka Website im Internet aus, ähnlich entwickeln sich Social Media Accounts. Allerdings stellt ein Social Media Engagement ungleich höhere Anforderungen an die Unternehmen als eine Website (anspruchsvolles publizistisches Umfeld, virulente Feedbackkultur sowohl kritischer als auch wohlwollender Konsumenten, kurze Reaktionszeiten, lange Betriebszeiten etc.).


Social Media bietet in vielen Fällen eine hervorragende Möglichkeit, mit seinen Bezugsgruppen in Kontakt zu treten und zu bleiben, wobei häufig unterschiedliche Kanäle jeweils andere Bezugsgruppen ansprechen. Am Beispiel eines Consumer-Angebots mit Zielgruppe Jugendliche: auf Facebook kann man auf Beeinflusser treffen, auf Instagram sowohl auf Beeinflusser als auch Konsumenten, auf TikTok fast ausschliesslich auf Konsumenten, auf LinkedIn und Twitter trifft man auf andere Marktteilnehmer, Medien, Politik, Meinungsbildner. Die Kanäle sollten entsprechend den Absichten ausgewählt und bespielt werden.


Social Media ist heute zur Anlaufstelle Nummer 1 geworden, wenn es darum geht, (öffentlich) seine Meinung zum Verhalten, zu einem Produkt oder zu seiner eigenen Beziehung zu einem Unternehmen zu äussern. Das bedeutet einerseits unheimliche Chancen, aber natürlich auch Risiken. When the shit hits the fan, wie man so schön sagt, kann es für Unternehmen sehr ungemütlich werden auf Social Media — wenn auch Schweizer Betreiber mutmasslich etwas weniger exponiert sind, wie etwa Unternehmen im grossen Kanton. Insbesondere Inhalt mit politischer Tragweite muss sich häufig harten Auseinandersetzungen stellen, gerade etwa auf Twitter. Das Community Management braucht dann zur Kommunikations- oft auch noch eine hohe Fachkompetenz.


Um Social-Media-Kampagnen (Social Media Ads / Campaigning) fahren zu können, braucht es eine funktionierende Social-Media-Präsenz in den entsprechenden Kanälen — es gibt immer wieder Menschen, die meinen, man könne auf Social Media Werbung schalten, ohne sich auf Social Media zu engagieren, das ist meiner Erfahrung nach Blödsinn.


Man kann die Disziplinen in Social Media grob unterscheiden zwischen Community Management (der Austausch mit Social-Media-Teilnehmern) und Content Creation (Personen, die Beiträge in Text und Bild/Grafik ersinnen, verfassen und publizieren), Social Media Advertising (also bezahlten Content als Kampagne kreieren und lancieren) und Controlling (Messungen aus- und strategisch bewerten). Jede dieser Disziplinen bedarf spezifischer Kompetenzen, die selten in einer einzigen Person kumuliert werden können. Am ehesten geht dies noch in kleineren Tech/Komm-Unternehmen.


Die Kommunikation auf Social Media kann 7×24 Stunden stattfinden, muss aber nicht. Ein 7-Tage-Piketbetrieb mit Reaktionszeiten unter einer Stunde von 9 bis 21 Uhr sollte aber mindestens im Community Management Standard sein, spätestens sobald sich eine gewisse Reichweite eines Kanals eingestellt hat.


Eine Aufteilung der Disziplinen kann sein: Community Management durch Betreiber, Content Creation sowohl durch externe Agentur als auch durch Betreiber, Social Media Advertising durch eine externe Agentur, Controlling durch die Marketingleitung bzw. die Unternehmensleitung bei kleineren Unternehmen. Die Lösung «alles intern» oder «alles extern» verursacht entweder hohe interne oder hohe externe Kosten und meist schlechtere Inhalte. Man muss unbedingt begreifen, dass auf Social Media viele Disziplinen zusammenfliessen, die man früher wie selbstverständlich extern einkaufte oder eine Stelle dafür im Unternehmen hatte: Bildredaktion und Bildbearbeitung (Video sei mitgemeint), Grafik, Textarbeit, Recherche, «Pressesprecher» (Anfragen bearbeiten, knackige und fachlich korrekte Antworten liefern), Werber (Kreation und Setup von Kampagnen) — eine Person, die das alles kann, ist sehr schwierig zu finden.


Der Aufbau einer Community ist harte Arbeit und geschieht fast immer in sehr kleinen Schritten, das heisst, in vielen kleinen aber kontinuierlichen Engagement-Portionen. Je grösser die Community im so genannten Real Life ist, desto schneller wird sie auf Social Media wachsen. Story-fähige Consumer Goods haben es auch einfacher als erklärungsbedürftige Business-to-Business-Angebote.


Betreiber, die ein mehrsprachiges Social Media Engagement leisten müssen, stehen vor einer echten Herkulesaufgabe, die bereits bei der Planung der Kanäle anfängt.


Die Social-Media-Präsenz ist das Aushängeschild der eigenen Marke. Versinnbildlicht ist es das Aushängeschild, das am weitesten draussen hängt, an der bestfrequentierten Stelle, mit Abstand die grösste Fläche hat, am besten beleuchtet ist und die vielversprechendsten Botschaften trägt — es lohnt sich, jeden Tag rauszufahren und es instand zu halten.


Bei nahezu allen Unternehmen müssen Personalbestände wegen des Social Media Engagement ausgebaut werden und/oder externe Aufwände erhöhen sich. Höchstens kleine, medienaffine Unternehmen vermögen Social Media Engagement «on top» zu leisten. Wie gesagt: Social Media kommt zwar oft ganz légère daher, ist  jedoch aufwändig und kostet intern und/oder extern Geld, wie eigentlich jede Marktbearbeitungsmassnahme. Natürlich muss man das unbedingt budgetieren, allein um auch Erfolge und Misserfolge ehrlich messen zu können. Etliche Unternehmen reiten mit ihren seltenen Beiträgen und ein paar wenigen Interaktionen trotz nicht unerheblicher Aufwände ein längst totes Ross — was man sich besser eingesteht.


Es gibt kein halbes Social Media Engagement. Entweder man ist als Unternehmen über die Kanäle erreichbar und bespielt sie mit dem gleichen Wertverständnis, das man auch einem Print- oder Online-Ad entgegenbringt, oder man sollte es bleiben lassen — halbe Investitionen rechnen sich hier meiner Meinung nach nicht bzw. sind der eigenen Marke sogar schädlich.


Mein Fazit ist simpel: Social Media bietet den meisten Unternehmen, die aktive Kommunikationsarbeit leisten müssen, unglaublich gute Chancen, wenn man die Risiken kennt, die Sache strategisch und damit langfristig angeht, sich wirklich Mühe gibt und über das nötige Kleingeld verfügt, diese Massnahme angemessen zu alimentieren.