Die Zahl möglicher Werbekanäle war nie höher. Doch gerade für KMU mit erklärungsbedürftigen oder auftragsbasierten Leistungen passt kaum einer wirklich.

Was soll ich nur tun, Herr Werber? Warum Werbung für viele KMU keine gute Idee ist — und was stattdessen sinnvoll ist

Als Werbeagentur werden wir — nicht ganz überraschend — regelmässig nach wirksamen Werbemassnahmen gefragt. Besonders oft kommen diese Fragen von kleinen oder mittelgrossen Unternehmen mit erklärungsbedürftigen und/oder auftragsbasierten Angeboten. Leider klingt meine Antwort dann häufig nach Häresie. Warum das so ist? Das erfahren Sie hier.

Was will ich kaufen? Was verkaufen Sie?

Wer werben will, sollte zuerst ein Angebot haben, das sich bewerben lässt. Ein werbetüchtiges Unternehmen bietet ein erwerbbares Produkt oder eine Dienstleistung, für das es kontinuierlich Nachfrage gibt — idealerweise rund um die Uhr. Denken Sie an Sneakers, Wein oder Zigarren. Dafür gibt es — entsprechendes Budget und Interesse vorausgesetzt — eine Vielzahl effizient steuerbarer Werbelösungen.

Aber: Ein hochindividuelles Business-Coaching für 30’000 Franken? Schwierig. Architektur mit Fokus auf Bauherrenzufriedenheit bei Projekten ab zwei Millionen? Noch schwieriger. Komplexe Kunststoffbauteile in Kleinserie oder IT-Full-Service auf Innovationsniveau? Extrem schwierig.

Werbung funktioniert nur, wenn genügend potenzielle Kundinnen und Kunden damit in Kontakt kommen, die ein grundlegendes Interesse mitbringen. Gute Werbung sorgt dann dafür, dass aus diesem Interesse ein Abschluss wird.

Doch viele kleinere Unternehmen haben Angebote für wenige, nicht für viele. Diese sind oft hochwertig und geschätzt — aber das Interesse ist nicht konstant vorhanden. Das gilt auch für uns: Wie oft im Leben braucht man schon eine Branding-, Kommunikations- oder Werbeagentur? Sicher weniger oft als Wein, Zigarren oder Sneakers.

Der Faktor Zeit: Wann Werbung wirkt

Jede Kaufentscheidung folgt einem mehrphasigen Zyklus:

1. Kein Interesse
2. Latentes Interesse
3. Akutes Interesse
4. Kauf

Werbung wirkt idealerweise in Phase 3, gelegentlich auch in Phase 2. In Phase 1 bleibt sie meist verpufft. In der heutigen, überinformierten Nachfragegesellschaft ist Werbung oft nur dann erfolgreich, wenn sie zur richtigen Zeit auf die richtige Person trifft — ein Lucky Punch.

Gute Strategien setzen deshalb auf Dauerpräsenz. Sie machen die Marke bekannt und sympathisch, damit sie bei akutem Bedarf erinnerbar ist. Das gelingt mit einer Kombination aus Image- und Produktkampagnen — sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind:

A) Eine gepflegte, präsente Marke.
B) Erwerbbare, nachgefragte Produkte.
C) Genügend Budget.

Hier liegt das Problem: Viele KMU haben A) keine entwickelte Marke, B) komplexe Angebote, die nicht spontan gekauft werden, und C) begrenzte Mittel. Zudem sind sie in stark saisonalen oder bedarfsabhängigen Märkten unterwegs. Nehmen wir Fliegengitter: Wer denkt im März schon daran?

Viele Kanäle — wenig Wirkung

Die Zahl möglicher Werbekanäle war nie höher. Doch gerade für KMU mit erklärungsbedürftigen oder auftragsbasierten Leistungen passt kaum einer wirklich:

Social Media
Facebook, TikTok, Instagram, LinkedIn: Übersättigt, teuer, teilweise werbefrei. Für Premiummarken oft ein unpassendes Umfeld. Zudem steigen die Preise deutlich.

Google Ads / SEA
Hervorragend bei vorhandener Suchnachfrage. Ohne genügend Suchvolumen (z. B. «Fliegengitter auf Mass Berner Oberland») verpufft das Potenzial und SEO ist das Mittel der Wahl. Dazu kommt: Google Ads ist heute technisch komplexer als früher.

Online-Banner / Display
Können wirksam sein, sind aber teuer. Viele Medien kompensieren damit Printverluste.

Out-of-Home (OOH)
Ideal für Imagewerbung, aber mit hohem Streuverlust. Für Nischenangebote zu kostspielig und wenig Erfolg versprechend.

Printanzeigen
Faktisch tot — ausser in wenigen Fachjournalen, die je nach Branche interessant sein können.

Direct Mailings / Verteilaktionen
Besser als ihr Ruf, aber kostenintensiv ab mittlerer Auflage.

Weitere Kanäle wie TV, Popup-Stores oder Guerilla-Marketing sind für KMU meist irrelevant.

Und was nun? Die «Blood, Sweat & Tears»-Strategie

Was empfehle ich also als Werber KMU, die all dies lesen? Kurz gesagt: keine Paid-Media-Werbung. Vorerst. Sondern Arbeit. Und zwar sehr viel davon.

1. Marke entwickeln
Bauen Sie Ihre Marke als Fundament. Grafisch wie inhaltlich. Klären Sie Ihre Identität, Ihre Wirkung, Ihre Werte.

2. Website lieben lernen
Ihre Website ist nicht für viele gemacht, sondern für den einen, der zählt. Zeigen Sie Ihre Marke. Ermöglichen Sie wunderbare Landingpages. Pflegen Sie sie wie Ihr Wohnzimmer.

3. Content schaffen
Erklären Sie Ihr Angebot. Publizieren Sie Artikel, Videos, Whitepapers. Teilen Sie Know-how. Zeigen Sie Haltung. Verlangen Sie für Downloads Kontaktinfos.

4. Newsletter einrichten
Klasse statt Masse. Kuratiert, sprachlich liebevoll, optisch ansprechend. Verlinkt auf Inhalte der Website. Mit starkem Namen.

5. Social Media vorbereiten
Professionelle Accounts, konsistente Gestaltung, zentrale Pflege (z. B. via Hootsuite). Cleveres Content-Recycling statt wildem Aktionismus.

6. Firmensitz gestalten
Ihre Räume sprechen Bände über Ihre Marke. Auch wenn niemand zu Besuch kommt: Tun Sie es für sich.

7. Print nicht vergessen
Word-/PowerPoint-Templates, ein kleines Imageleaflet, vielleicht eine Postkarte. Digitaldruck macht’s einfach und hochwertig.

8. Persönliche Kontakte pflegen
Geburtstage notieren. Karten schreiben. Sich melden. Analog ist nicht tot. Weihnachten auch nicht.

Eines ist klar: Ein Unternehmen, das diesen 8-Punkte-Plan ernst nimmt und konsequent umsetzt, wird erfolgreicher sein als eines, das stattdessen nur eine «blendende» Social-Media-Kampagne raushaut. Nachhaltiger, glaubwürdiger und langfristig wirkungsvoller.

Danach: Werbung, vielleicht

Wenn Sie das alles umgesetzt und gepflegt haben — mit Partnern, denen Sie vertrauen —, dann sprechen wir über Werbung. Wahrscheinlich wird es eine Social-Media-Kampagne. Vielleicht flankiert von Google Ads. Starten Sie klein. Beobachten Sie. Optimieren Sie. Skalieren Sie bei Bedarf.

Aber denken Sie immer daran: Die wichtigste «Conversion» ist nicht der Klick, sondern das Vertrauen. Und das baut man nicht mit Mediaspendings. Sondern mit Blut, Schweiss und Tränen.

Seien Sie «AI-friendly». Die KI wird Ihr wichtigster Zubringer werden. Sie erkennt gute Unternehmen. Arbeiten Sie daran, eines zu sein und es zu zeigen.